Frauen*heldin: Menerva Hammad

Komm’ mir bloß nicht mit Jungfernhäutchen”: Die Wiener Autorin Menerva Hammad erklärt, warum Klitoris-Talk & Kopftuch gut zusammenpassen und welche Mythen sie gern verabschieden würde. Teil 1 unserer Reihe Frauen*heldinnen, in der wir inspirierende Menschen und ihren Einsatz für Zyklus, Sexualität und Feminismus vorstellen.

von Shafia Khawaja

CHICA CON CICLO: Menerva, als Autorin und Bloggerin schreibst du vor allem über weibliche Sexualität. Wie ist dein Interesse an diesem Thema entstanden?

Menerva Hammad: Das Interesse war eigentlich schon immer da. Ich denke, dass die Neugier über die eigene Sexualität etwas Natürliches ist. Ein angeborenes Bedürfnis, wie Hunger zum Beispiel.

Auf Social Media machst du darauf aufmerksam, dass sexuelle Bildung für alle wichtig ist. Trotzdem gibt es einige Stimmen, die sagen, dass Muslim*innen  nicht öffentlich über Sex sprechen sollten. Wie reagierst du darauf? 

Mit TikToks (lacht). Es ist innerhalb und außerhalb der muslimischen Community neu, dass eine Kopftuch tragende Frau sagt: „So schaut die Klitoris in Wirklichkeit aus“ oder „Nicht alle Periodenschmerzen sind normal und hinzunehmen”. In der muslimischen Community wird zwar im Geheimen darüber geredet, aber - zumindest im deutschsprachigen Raum - kaum öffentlich. Deshalb war es am Anfang ein Schocker. 

Es halten sich viele Vorurteile gegenüber muslimisch gelesenen Menschen. Aber nicht alle davon beziehen sich tatsächlich auf die Religion. Wie kann man zwischen religiösen und kulturellen Einflüssen unterscheiden?

Wenn in westlichen oder nicht-muslimischen Ländern über „den Islam” gesprochen oder berichtet wird, ist das ein sehr eintöniges Bild von Muslim*innen und „dem Islam”: Das Fremde, das Gefährliche, das Frauen Unterdrückende. In Wahrheit wird sich dabei kaum mit der Religion auseinandergesetzt - übrigens auch von muslimischer Seite: Viele Muslim*innen haben den Koran nicht gelesen, sie übernehmen den Islam von den Erzählungen der Eltern.

Deswegen ist so wichtig, zwischen kulturellen Traditionen und religiösen Vorschriften zu differenzieren. Beispiel Jungfernhäutchen: Es steht nirgendwo im Koran, dass die Frau in der Hochzeitsnacht bluten soll. Das sind gesellschaftliche Konstrukte, die sich hartnäckig halten, aber religiös überhaupt keinen Boden haben. Das macht mich wütend.

Warum? 

Wir tun immer so fortschrittlich, aber schau dir die deutsche Sprache an: Alter, was ist da los? (lacht) Das „Jungfernhäutchen” ist ein Schleimhautkranz, das nichts darüber aussagt, ob und wie man schon Sex hatte. Es ist normalerweise ein Stück weit geöffnet - sonst könnte kein Periodenblut abfließen. Ob man beim ersten penetrativen Sex blutet, hängt nicht zwingend von seiner Beschaffenheit ab, sondern hat auch mit Entspannung und Feuchtigkeit zu tun. „Hymen” ist daher passender. 

In Überlieferungen betonen muslimische Gelehrte, dass die Lust der Frau befriedigt werden sollte. Auf Instagram erklärst du aber, dass 80% aller Frauen nicht allein durch Penetration zum Höhepunkt kommen. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz?

Im Koran und auch in den Überlieferungen wird die weibliche – und auch die Lust generell –  sehr hochgepriesen. Es gibt die Aufforderung, das Vorspiel zu verlängern und den Orgasmus der Männer hinauszuzögern, damit die Frau zuerst kommen kann. Manche heterosexuellen Männer  kennen sich mit dem Körper der Frau aber gar nicht aus - und auch Frauen kennen sich selbst nicht immer gut.

Daher müssen wir den Männern sagen, dass der äußere Teil der Klitoris auch zu stimulieren ist und dass das ein wichtiger Teil von Sex ist. Nicht nur nach dem Motto „Boah, das machen wir jetzt, damit wir mit der Penetration anfangen können”. 

Du befasst dich nicht nur mit Sexualität, sondern auch mit der Menstruation. Wie wird damit im Islam umgegangen?

Man sollte nicht fasten und auch nicht beten, wenn man seine Tage hat. Es geht darum, dass man die Frau schont: Sie sollte beim Gebet nicht diese Bewegungen machen und sie sollte auch nicht auf Wasser oder Nahrung verzichten. Es ist keine Strafe, es ist ein Recht. Eine Frau ist davon während der Periode ausgenommen, einfach, um auf sich zu achten  und nicht, weil sie unrein wäre. 

Gibt es auch Muslim*innen, die das nicht wollen und lieber fasten und beten würden? 

Ich glaube nicht, dass das jemand macht. Man ist ja manchmal froh, eine Auszeit zu haben. Das ist so, als würde ich im Urlaub trotzdem in die Arbeit gehen – das macht ja niemand (lacht). 

Was hast du als nächstes mit deinem Wissen vor? Welche Projekte hast du im Auge?

Ich bin Autorin mit dem Schwerpunkt auf weiblicher Sexualität. Außerdem habe ich mehrere Workshops absolviert, zum Beispiel zu Schamgefühl und zu Grundlagen der Sexualpädagogik. Aber ich brauche kein Zertifikat, um zu sagen, dass es das Jungfernhäutchen als Konstrukt, dieses Pure oder Heilige, nicht gibt. Oder um zu sagen: Leute, hört euch auf untenrum zu bleichen oder irgendwelche Düfte reinzuhauen. Du musst nicht nach „Cherry Blossom” riechen. Das Einzige, was man braucht, ist warmes Wasser und das war’s. Wenn ich mich bei einem Thema nicht so gut auskenne, interviewe ich Expert*innen. Mir ist es nicht wichtig, dass ich die Informationen rüberbringe, sondern dass die richtige Information bei den Leuten ankommt. 

Im Oktober erscheint dein zweites Buch „Vom Muttertier zum Wunderweib”. Worum geht es darin? 

Um das Frausein nach der Mutterschaft. Es gibt so viele Ratgeber für Erziehung, aber was mir gefehlt hat, war ein Buch, das mich als Frau und Woman of Color anspricht. Bleibe ich jetzt für immer nur noch eine Mama? Was ist jetzt mit meinem Leben als Frau? Es geht um Sex, Liebe, Freundschaft, Beruf, Finanzen, Selbstliebe und Selfcare. Es ist ein Buch, in dem man sich als Woman of Colour wiederfinden kann, selbst wenn man keine Kinder hat. Es kommen Beispiele und Lösungsansätze aus dem Leben ganz unterschiedlicher Frauen vor.

Was möchtest du Menstruierenden noch gerne mitgeben? 

Dass sie sich nicht für ihre Menstruation schämen sollen. Dass es zwar normal ist, mäßige  Schmerzen zu haben – aber wenn du das Gefühl hast, es ist nicht zum Aushalten, dann geh zur Gynäkologin! Manche jungen Leute glauben, man kann erst zur Gyn, wenn man bereits Sex hatte - das ist ein Mythos. Ab der ersten Periode ist es empfehlenswert, einen Termin zu vereinbaren.  

Mehr von Menerva findest du auf ihrem Instagramkanal @kakaotschifrau oder auf ihrem Blog “Hotel Mama”. 


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