Ist Zyklusbeobachtung zu kompliziert, um zuverlässig zu sein?

Eine Frau mit Brille und kurzen, dunklen Locken und geblümtem Shirt, die vor einer Holztür steht und die linke Hand in Denkerpose an ihr Kinn stützt.

Zyklusbeobachtung sei für die meisten Frauen* zu kompliziert, heißt es immer wieder. Was für ein Frauenbild steckt da eigentlich dahinter?

Vor kurzer Zeit gab ich ein personalisiertes Mentoring für eine Frau, die mehr über die symptothermale Methode (NFP nach Sensiplan) und Körperbeobachtung erfahren wollte. Zu meiner Überraschung war sie schon ziemlich gut informiert, die Zykluszeichen und der generelle Ablauf des Zyklus waren ihr bekannt. Trotzdem sagte sie, diese Temperaturkurven und Konsistenzen des Zervixschleims, da blicke sie noch nicht durch und habe auch gehört, dass das zu kompliziert sei, um es zuverlässig anzuwenden. Eineinhalb Stunden später sah sie es anders und war hochmotiviert, das Projekt Zyklusbeobachtung anzugehen. Ich freute mich, dass sich ihre anfängliche Skepsis in Begeisterung verwandelt hatte. Schließlich wurde uns Frauen* lange genug erzählt, wir seien nicht in der Lage, unseren eigenen Zyklus zu verstehen und zu beobachten.

Ich habe mehrmals auf Aufklärungsseiten gelesen, die Zervixschleimbeobachtung sei für viele Personen zu schwierig, nur wenige könnten die verschiedenen Konsistenzen unterscheiden. Eine Quelle, die diese Behauptung stützen könnte, war dabei nie angegeben. Dabei gibt es durchaus Studien*, die die Erfolgs- und Akzeptanzrate der Zervixschleimbeobachtung beurteilen. Diese zeigen allerdings ganz andere Ergebnisse: Über 95 Prozent der Frauen, die die Methode erlernen, haben keine Probleme bei der Beobachtung und können die zyklischen Veränderungen auch auswerten. Und wenn man tatsächlich zu den circa fünf Prozent gehört, bei denen es nicht klappen will, kann man alternativ die Veränderungen der Zervix (Muttermund) beobachten. Als wichtigstes Symptom gilt in der deutschen Schule der NFP/Sensiplan die Temperaturveränderung. Doch auch die damit verbundenen Regeln sind einfach zu verstehen und anzuwenden.

Was ist das für ein Frauenbild, wenn uns nicht mal zugetraut wird, unseren eigenen Körper zu verstehen?

Ich möchte daher an der Stelle eine Frage in den Raum stellen: Was für ein Frauenbild steckt eigentlich dahinter, wenn uns nicht einmal zugetraut wird, unseren eigenen Körper nach einfach erlernbaren Regeln zu verstehen, die in der Anwendung auf Grundschul-Mathe-Niveau liegen? Wir studieren, machen eine Ausbildung oder gründen ein eigenes Business, wälzen uns durch Vorlesungen, Bafög-Anträge und die Steuererklärung, aber wir sollen nicht in der Lage sein, den Zervixschleim und das Empfinden am Vaginaleingang in maximal fünf (nach US-Schule vier) Kategorien zu unterteilen? Oder die Aufwachtemperatur zu messen, zu runden und einen Anstieg nach drei klar beschriebenen Regeln auszuwerten? You must be kidding me. Wer einen Zyklus und Zugang zu den richtigen Informationen hat, kann ihn auch systematisch beobachten - selbst, wenn der Zyklus lang und unregelmäßig ist. Weil man die Körperzeichen jeden Tag beobachtet und aufzeichnet, ist es in diesen Fällen sogar besonders praktisch: Man sieht anhand der dokumentierten Zeichen, wenn der Eisprung später stattgefunden hat, und kann sich nach seiner Bestätigung auf eine Menstruation in etwa 12 bis 16 Tagen einstellen.

Ich musste lachen, als meine Mentee sagte, sie hätte die symptothermale Methode vor unserer Session für "die Homöopathie der Verhütung” gehalten. Dabei ist es nüchterne schulmedizinische Wissenschaft, die sich über die letzten hundert Jahre hinweg entwickelt hat. Tatsächlich waren die Erfinder der Kalendermethode (Knaus-Ogino-Methode) in den 1930er Jahren insofern bahnbrechend, dass sie den Eisprung korrekt auf durchschnittlich 12-16 Tage vor der nächsten Menstruation datierten und nicht schlicht und einfach auf Zyklustag 14. Trotzdem ist diese Methode inzwischen veraltet, da man nie im Voraus sagen kann, wann genau der nächste Eisprung stattfindet - und wir heute dank weiterer Forschung die Möglichkeit haben, den zyklischen Verlauf täglich anhand von Körperzeichen zu beobachten.

Zyklus-Apps sollten maximal ein Hilfsmittel sein - den Zyklus verstehen muss man selbst

Ironisch ist, dass knapp hundert Jahre später Zyklus-Apps* auf den Markt gebracht wurden, die auf der unmodernen Kalendermethode basieren. Man hört immer wieder von ungeplanten Schwangerschaften, die entstanden, weil sich auf die durch eine App errechneten angeblich unfruchtbaren Tage verlassen wurde. Ganz so easy ist es dann doch nicht, wenn man sicher verhüten möchte. Zykluswissen muss man sich aneignen: Durch ein Grundlagenbuch, durch Onlinerecherche auf zuverlässigen Websiten, durch Sensiplan-Kurse oder persönliche Beratung. Es kostet ein bisschen Zeit, aber es lohnt sich, denn man erwirbt einen Schatz, den einem niemand mehr wegnehmen kann:
Ein tiefgehendes Verständnis für den eigenen Zyklus, das uns erlaubt, wirklich informierte Entscheidungen über unsere Gesundheit und Sexualität zu treffen.


Lust auf mehr Information? Dann schau doch mal auf mein Mentoring-Angebot.

Foto: Paola Aguilar via Unsplash

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Zyklus-Apps kann man nicht alle in einen Topf werfen, denn es gibt ganz unterschiedliche Modelle - darunter auch Apps, die die symptothermale Methode unterstützen. Allerdings führt kein Weg daran vorbei, die Methode erst einmal selbst zu erlernen, denn schließlich muss man wissen, wie man die Zykluszeichen korrekt beobachtet und kategorisiert. Würdet ihr gern einen eigenen Artikel zu Apps lesen? Schreibt es mir gern in die Kommentare.

* Quelle für die Zervixschleim-Studien: Raith-Paula, Frank-Hermann, Freundl und Strowitzki: Natürliche Familienplanung Heute, Springer Verlag


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Von Queer bis Kupferspirale: Zykluswissen abseits des Mainstreams