Warum ich keine Menstruationstasse benutzen kann

Ich würde gerne mal eine Menstruationstasse tragen, aber ich kann nicht mal einen Tampon einführen, denn ich habe Vaginismus.

Auf ihrem Instagram-Kanal klärt Leonie über Vaginismus auf.

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Gastbeitrag von Leonie @vaginismus.hilfe

Ich bin ungefähr 14 Jahre alt, als ich das erste Mal versuche, einen Tampon einzuführen. Nachdem ich die Packungsbeilage dreimal durchgelesen habe, atme ich tief durch, setze an und – stoße unangenehm an, wie gegen eine innere Wand. Ich bin genervt, aber finde es erstmal nicht weiter schlimm. Dann nehme ich eben Binden. Außerdem habe ich während meiner Menstruation an allen Blutungstagen immer so heftige Beschwerden, dass ich kaum rausgehen kann - geschweige denn schwimmen oder Sport treiben. Etwa ein Jahr später sitze ich das erste Mal auf einem gynäkologischen Stuhl. Während jeder Periode muss ich mich mehrmals täglich übergeben und soll nun die Pille kriegen, damit das aufhört. Die Ärztin führt das Spekulum ein und es tut weh. Mehr als es sollte, aber das weiß ich zu dem Zeitpunkt noch nicht und halte es wieder für normal. 

Ist das normal? 

Kurz nach meinem 19. Geburtstag liege ich mit meinem ersten Freund im Bett und bin bereit. Bereit für mein erstes Mal. Aber im entscheidenden Moment stoße ich - oder besser gesagt stößt er - wieder gegen eine Wand. Diesmal tut es wirklich ernsthaft weh. Sein Penis fühlt sich an wie ein spitzer Gegenstand. Und wieder denke ich, dass andere ja auch Anlaufschwierigkeiten haben. Und überhaupt hat ja selbst meine Biolehrerin gesagt, dass es wehtun kann beim ersten Mal. Ich durchlaufe zwei gynäkologische Praxen, Gespräche mit Freundinnen und zahllose Google-Suchen, bis ich endgültig weiß: Weder die Probleme mit dem Tampon oder dem Spekulum noch die schmerzhafte „Wand” beim Sex sind normal. Ich habe Vaginismus.

Fight, fly or freeze 

Vaginismus ist eine sogenannte sexuelle Funktionsstörung, bei der die Vagina unfreiwillig verkrampft - was das Einführen von Tampon, Penis oder Spekulum schmerzhaft bis unmöglich macht. Dabei handelt es sich um eine Schutzfunktion des Körpers: Viele Betroffene haben einmal eine schmerzhafte Penetration erlebt und ab da wertet der Körper Penetration als Gefahrensituation und schaltet in den Urzeitmodus „Fight, Fly or Freeze“. In diesem Fall Freeze. Und zwar jedes Mal wieder. Das Schmerzgedächtnis merkt sich alles und so wird es immer schwerer, den Kreislauf zu durchbrechen. Was vielen hilft, sind Physiotherapie, psychologische Sexualtherapie und Üben mit Dilatoren. Das sind schmale Dildos, die man in Sets in aufsteigender Größe kaufen kann und mit denen man die Vagina und das Gehirn an eine schmerzfreie Circlusion gewöhnen soll. Circlusion meint „Umschließen“ und ist eine gute Alternative zum Ausdruck „Penetration“, weil es die Vagina als aktiven Part in den Mittelpunkt stellt.

Periodenslips gegen das Windelgefühl 

Ich habe damit schon Fortschritte gemacht, aber bin jetzt 24 und habe immer noch keinen Tampon getragen, obwohl ich das gerne tun würde. Ich habe immer noch starke Schmerzen während der Periode, aber manchmal geht es, sodass ich gerne mal schwimmen gehen würde. Oder mir keine Sorgen machen, ob man unter einer engen Hose meine Binde sieht. Oder ob etwas durchblutet, wenn ich länger keine Gelegenheit habe, die Binde zu wechseln. Seit einer Weile benutze ich Periodenslips, die im Schritt einen speziellen Stoff haben, der das Blut aufsaugt und die man anschließend in die normale Wäsche geben kann. Damit kann ich je nach Stärke der Blutung einige Stunden ohne Binde auskommen. Für mich war das ein Game-Changer: Endlich nicht mehr dieses Gefühl, eine Windel zu tragen, die mir dazu auch noch regelmäßig die Haut um die Vulvalippen wund scheuert.

Nachhaltige Periodenprodukte sind nicht für alle zugänglich

Trotzdem würde ich Tampons oder Menstruationstassen verwenden, wenn ich könnte. Wegen der größeren Freiheit, dem Mehr an Komfort oder einfach, weil ich die Wahl hätte, alles auszuprobieren. Genau deshalb finde ich es auch mehr als anmaßend, wenn mir Journalist*innen oder – noch schlimmer – irgendwelche selbsternannten Öko-Sinnfluencer erklären wollen, dass doch jetzt wirklich jede*r auf nachhaltige Menstruationsprodukte umsteigen könne ob der großen Vielfalt an Produkten. Nein, das kann eben nicht jede*r. Die Tassen sind nicht für jeden Körper geeignet und die Höschen konnte ich mir auch nur dank Weihnachtsgeld von Mutti leisten. Und mal ganz abgesehen von den körperlichen und finanziellen Aspekten bringen mir meine Periode und mein Vaginismus genug Ärger ein, sodass ich alleine entscheide, welche Produkte ich verwende.

Wie Vaginismus mit einer schmerzhaften Periode zusammenhängt 

Laut meiner Therapeutin, bei der ich aufgrund meines Vaginismus seit knapp zwei Jahren eine Sexualtherapie mache, können meine Schmerzen, Kreislaufprobleme und die Übelkeit während der Periode auch mit dem Vaginismus zusammenhängen. So verbindet man nämlich unterbewusst mit dem Unterleib Schmerzhaftes und auch das manifestiert sich im Körper. Zudem kann es auch körperlich zusammenhängen, denn Vaginismus kann zum Beispiel auch im Zusammenhang mit gynäkologischen Erkrankungen wie Endometriose auftreten. Nachdem ich in Bezug auf meine starken Menstruationsbeschwerden jahrelang nur gehört habe, ich hätte eben „Pech gehabt“ , stelle ich mich jetzt bald bei einer spezialisierten Klinik vor, um das untersuchen zu lassen. 

Wissen ist Macht besonders bei Vaginismus 

Bei allem Nervigen, das meine Periode und mein Vaginismus so mit sich bringen, habe ich dadurch aber auch viel über meinen Körper gelernt. Ich kann besser auf mich hören, gebe mir Ruhe, wenn ich welche brauche – und nicht mehr nur, wenn ich keine Wahl mehr habe. Inzwischen weiß ich auch, was wirklich während eines Zyklus  im Körper passiert. Direkt nach der Menstruation und nach dem Eisprung beispielsweise sitzt der Muttermund (auch Zervix oder Gebärmutterhals genannt) recht tief und ist hart, sodass Penetration unangenehm sein kann, selbst, wenn man keinen Vaginismus hat. Am Anfang habe ich mich gewundert, wenn ich mit meinen Dilatoren nicht weiter gekommen bin, obwohl es am Tag davor noch wunderbar funktioniert hat. Jetzt weiß ich, dass es nicht nur an der Tagesform, sondern eben auch an der Zyklusphase liegen kann.

Das alles hat mir aber kein*e Gynäkolog*in gesagt, sondern andere Betroffene im Internet. Durch die Facebook-Gruppe “Vaginismus Support” habe ich so viel gelernt, dass ich das selbst auch unbedingt weitergeben wollte. Ich wünsche mir mehr Aufklärung und Gemeinschaft unter den Betroffenen. Deshalb schreibe ich auf Instagram über meine Erfahrungen, habe zwei Themenabende mit Sexshops in Hamburg und Hannover veranstaltet und leite seit Kurzem eine Selbsthilfegruppe für Vaginismus-Betroffene in Hannover

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In 35 Menstruationen um die Welt

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