Von Queer bis Kupferspirale: Zykluswissen abseits des Mainstreams

Close-Up einer Person, die ihre in Regenbogenfarben bemalten Brüste in ihren Händen hält. Das Foto ist von Sharon McCutcheon via Unsplash und Teil der Reihe Quarantine LGBTQ pride paint photoshoot.


Zyklusbeobachtung und natürliche Verhütung haben einen ziemlich speziellen Ruf: Viele denken entweder an religiöse Heteros oder an hyper-alternative Hippies. Wenn man in keine der beiden Gruppen passt oder schon eine andere hormonfreie Alternative gefunden hat, mag die Beobachtung der Zykluszeichen überflüssig scheinen. Ist sie aber nicht.


Abhängig von der individuellen Situation kann Zyklusbeobachtung ganz unterschiedlichen Zwecken dienen. Ich habe ein paar Statements aus dem wahren Leben gesammelt und erkläre, warum es auch in den beschriebenen Situationen Sinn macht, den eigenen Zyklus kennenzulernen. Vorausgesetzt, man hat Lust darauf - aber diese Voraussetzung gilt immer.

1. Ich verhüte durchgehend mit Kondomen, damit fühle ich mich sicherer.

Klingt sehr sinnvoll. Konsequente Kondombenutzung schützt schließlich nicht nur vor einer Schwangerschaft, sondern auch vor den meisten sexuell übertragbaren Krankheiten. Was aber, falls doch mal eines kaputt geht und eine Schwangerschaft unbedingt vermieden werden soll? Dann kann man zur Pille danach oder Spirale danach greifen. Die sogenannte Nachverhütung ist allerdings nur nötig, wenn das Kondom in den fruchtbaren Tagen gerissen ist, denn in der unfruchtbaren Zyklusphase kann sowieso keine Schwangerschaft entstehen. Mit symptothermaler Zyklusbeobachtung ist es einfach festzustellen, in welcher Phase man sich aktuell befindet (Man muss damit schon vorher angefangen haben, direkt am Tag der Panne kann man es ohne vorherige Aufzeichnungen nicht feststellen). In einigen Fällen kann man sich die Nachverhütung also getrost sparen - allerdings nicht den Test auf sexuell übertragbare Infektionen.


2. Ich habe die Kupferspirale drin, die ist so zuverlässig, dass sich die Zyklusbebachtung gar nicht lohnt.

Ein Vorteil der Kupferspirale ist eine hohe Methodensicherheit (Pearl-Index 0,3-0,4) und auch eine hohe Gebrauchssicherheit (0,7-1,5). Anwendungsfehler fallen weg, und wenn man das richtige Modell hat, das an Ort und Stelle gut sitzt, verhütet die Spirale (wie auch Kupferkette und Kupferball) über Jahre hinweg zuverlässig. Eine weitere Eigenschaft dieser Methoden ist allerdings auch, dass der natürliche Zyklus erhalten bleibt, man ihn also beobachten und analysieren kann. Wer Zyklusbeobachtung nicht zu Verhütungszwecken braucht, kann mit dem Thema weniger strikt umgehen, beispielsweise zunächst nur ein Körperzeichen beobachten und sich ohne Druck herantasten. Ziemlich sicher wird man trotzdem schnell mit den Zyklusphasen in Kontakt kommen und mehr über die eigene Gesundheit und das emotionale Befinden im Zusammenhang mit dem Zyklus lernen. Übrigens begleite ich zur Zeit eine Klientin in genau dieser Situation - und ich sehe, dass sie vom Zykluswissen genauso sehr profitiert wie alle anderen.

3. Ich bin lesbisch, sollte ich mich trotzdem mit meinem Zyklus auseinandersetzen?

Diese Frage erreichte mich auf meinem spanischen Instagram-Kanal. Es wundert mich nicht, denn Diversität ist in der Welt der NFP (Natürliche Familienplanung bzw. symptothermale Methode) bisher kaum angekommen. In den Standard-Büchern zum Thema findet man normschöne, able-bodied,weiße Hetero-Pärchen. Umso wichtigter ist es mir, auch queere Follower*innen zur selbstbestimmten Zykluseobachtung zu ermutigen. Bezüglich ihrer Lebenssituation können dabei spezifisch Vorteile entstehen: Wenn beide Partner*innen menstruieren, kann man sich gegenseitig durch die verschiedenen Zyklusphasen begleiten, die damit verknüpften Emotionen kennenlernen und bei Bedarf den Alltag danach gestalten. Auch bei Kinderwunsch bzw. Planung einer Samenspende oder Co-Elternschaft ist es hilfreich, die Zykluszeichen im Hinblick auf steigende Fruchtbarkeit zu kennen (vor allem durch Zervixschleimbeochtung und ggf. LH-Tests). So kann man sich eventuell die medikamentöse Auslösung des Eisprungs sparen (die übrigens ein erhöhtes Mehrlings-Risiko birgt) und die Befruchtung gratis und zuhause erledigen. Das Gleiche gilt für Solomamas.

4. Bei mir funktioniert das alles nicht, mein Zyklus ist total unregelmäßig.

Tatsächlich bieten sich unregelmäßigen Zyklen besonders zur Beobachtung und Analyse an. Mit der Beobachtung von Temperatur und Zervixschleim kann man wertvolle Anhaltspunkte erhalten, was im Zyklus passiert und wie ausgeprägt die hormonelle Aktivität ist. Taucht zum Beispiel an manchen Tagen Zervixschleim auf und klingt dann wieder ab, kann dies auf eine Follikelreifungsstörung hinweisen - also auf mehrere erfolglose Anläufe des Körpers, den Eisprung auszulösen. Anhand der Temperatur kann man nicht nur ablesen, ob bzw. wann es schließlich doch zum Eisprung kam, sondern auch, wie lange die Phase von Eisprung bis zur nächsten Menstruation dauert. Die Fähigkeit, nach einem bestätigten Eisprung die nächste Menstruation zu prognostizieren, ist bei unregelmäßigen Zyklen oft eine ganz neue Erfahrung und Erleichterung. Und auch bei Kinderwunsch ist Zyklusbeobachtung hier besonders sinnvoll, um die wenigen fruchtbaren Tage pro Zyklus zu erwischen.

Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe an Vorteilen, die unabhängig von der Lebenssituation gelten, vor allem die Fähigkeit, anhand des Zyklus die eigene Gesundheit und Emotionen zu beobachten. Mit diesem Beitrag wollte ich vor allem herausstellen, worauf man in unterschiedlichen Situationen den Schwerpunkt legen kann.

Wofür nutzt ihr Zyklusbeobachtung? Oder wofür würdet ihr sie gerne nutzen? Erzählt es mir gern in den Kommentaren.

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Ist Zyklusbeobachtung zu kompliziert, um zuverlässig zu sein?

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Gesundheit, Kinderwunsch, Verhütung: Zykluswissen als Lifehack